Fischabstieg - Der vergessene Weg zurück

Jedes Wasserkraftwerk ist eine ökologische Barriere. Für die Aufwärtswanderung der Fische gibt es heute mehr oder minder erfolgreiche Konzepte wie Fischtreppen und Umgehungsgewässer. Ein vernachlässigtes Thema ist hingegen die Wanderung flussabwärts. Fische folgen instinktiv der stärksten Strömung, und die führt zwangsläufig durch die Turbinen. Je grösser der Fisch, desto höher das Verletzungsrisiko. Das traurigste Beispiel dafür ist der Aal, für den es in der Schweiz unmöglich geworden ist, seinen natürlichen Lebenszyklus zu vollenden.

Eine Recherche des Schweizer Fischerei-Verbands (SFV) zeigt: Das Problem ist komplex, die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, doch es gibt auch viel versprechende Lösungen.

Der SFV fordert einen verstärkten Effort von Forschung, Behörden und Energiewirtschaft, um die Forderung des Gewässerschutzgesetzes konsequent zu erfüllen: Inhaber von Wasserkraftanlagen werden darin verpflichtet ökologische Beeinträchtigungen durch Nutzung der Wasserkraft bis spätestens 2030 zu beseitigen. Dazu gehört auch die Beeinträchtigung der Fischwanderung. Hindernisse, welche die Fischwanderung wesentlich beeinträchtigen, müssen zwingend saniert werden.

Herausforderung Aal

Der Aal (Anguilla anguilla) ist der anspruchsvolle Indikator für die erfolgreiche Bewältigung dieser Aufgabe. Die aktuelle Situation zeigt, dass wir noch weit von den angestrebten Zielen entfernt sind.

Der Aal ist die einzige Fischart in Europa, die den grössten Teil ihres Lebens im Süsswasser verbringt und zur Fortpflanzung ins Meer wandert. Die Biologen nennen solche Arten katadrom – eine Kombination aus den griechischen Wörtern kata (hinab) und dromos (Weg oder Reise).

Aus der Schweiz wanderten die Aale früher fast tausend Kilometer den Rhein hinab, um in der Nordsee ihre eigentliche Hochzeitsreise von rund 3000 Kilometern zur Sargassosee im Westatlantik anzutreten. Für die Aale aus dem Einzugsgebiet des Ticino und der Rhône galt es zuerst das Mittelmeer zu durchwandern. Trotz dieser gewaltigen Hürden gehörten Aale einst zu den häufigsten Fischen der Schweiz und waren geschätzte Eiweiss- und Fettlieferanten.

Die Aalbestände in der Schweiz und den meisten Regionen Europas haben in den letzten 50 Jahren alarmierend abgenommen. Heute steht der Aal in der EU auf der Roten Liste der gefährdeten Arten und der kommerzielle Fang ist stark eingeschränkt worden.

Die Problematik

Wie bei allen Wanderfischen, hat die Nutzung der Fliessgewässer zur Energiegewinnung auch das Leben der Aale stark beeinträchtigt. Die Kraftwerkslagen blockieren die Wanderung der Fische flussaufwärts und flussabwärts. Die kraftvollen und geschickten Jungaale haben eine beeindruckende Fähigkeit Hindernisse zu überwinden und nutzen selbst primitive Fischtreppen, um flussaufwärts zu wandern. Zudem wurden Jungaale ab Anfang des 20. Jahrhunderts bei ihrem Einstieg in die Flussmündungen millionenfach gefangen und oberhalb der Wanderhindernisse ausgesetzt. Diese Praxis hat das Problem aber über Jahrzehnte nur scheinbar gelöst.

Die entscheidende Hürde für die ausgewachsenen Aale ist nämlich die Rückwanderung. Sie folgen dabei instinktiv der stärksten Strömung. Dieser einst aussichtsreichste Weg führt sie bei den meisten Kraftwerken geradewegs durch die Turbinen.

Während kleine und kompakte Fische diese Passage in der Regel unbeschadet überstehen, ist sie für langgestreckte Arten wie den Aal, der ausgewachsen bis über einen Meter lang werden kann, sehr riskant. Je nach Turbinentyp und Situation wird deutlich über die Hälfte der Aale verletzt oder getötet. Zählt man all die Kraftwerkspassagen in einem intensiv genutzten Gewässersystem wie dem Rhein zusammen, wird klar, dass die Chance eines Schweizer Aals die Rheinmündung zu erreichen heute gleich Null ist!

Da diese Situation auf viele Flusssysteme in Europa zutrifft, konnten immer weniger Aale ihre Reise zu den fernen Laichgründen unternehmen und entsprechend stark nahm die Zahl der Jungaale ab, die an die europäischen Küsten zurückkehren. Weitere negative Einflüsse wie Überfischung, Parasiten, Vergiftungen (z.B. Schweizerhalle 1986) und Prädation durch Kormorane haben den einst schier unermesslichen Aalpopulationen ebenfalls stark zugesetzt.

Umso wichtiger ist es heute den letzten Aalen die Wanderung zurück ins Meer möglichst risikofrei zu ermöglichen. Dabei geht es längst nicht mehr um fischereiwirtschaftliche Überlegungen, sondern bereits um Artenschutz.

Lösungen?

Über Jahrzehnte konzentrierte sich die Forschung zum Fischabstieg und die Abwärtspassage von Kraftwerken und Wanderhindernissen auf Salmoniden wie Lachse und Meerforellen. Sie war zudem konzentriert auf Lachsnationen wie USA, Kanada, Norwegen oder Schweden.

Dort gibt es diverse funktionierende Lösungen, wie die jungen Lachse und Forellen möglichst unbeschadet durch Kraftwerke geleitet oder geschleust werden – der starke ökonomische und gesellschaftliche Druck hat diese Projekte möglich gemacht.

In Ländern, wo diese Fischarten keine grosse wirtschaftliche Rolle spielen, hat man die Abstiegsproblematik klar vernachlässigt, so auch in der Schweiz. Im naivsten Fall nahm man gutgläubig an, dass so eine schöne Fischtreppe sicher in beide Richtungen funktioniert...

Mittlerweile wird auch in Mitteleuropa intensiv geforscht zu den Themen Fischabstieg und downstream migration passage* von Kraftwerken (*Flussabwärtsdurchwanderbarkeit). Die desolate Situation des Aals und die Wiederansiedlung des Lachses sind dabei die wichtigste Motivation.

Viele gute Ideen stehen im Raum, werden erforscht und getestet und es gibt auch schon diverse Kraftwerke, die für ihre Situation hoffnungsvolle oder sogar rundum überzeugende Lösungen gefunden haben (siehe LINKS).

In der Schweiz wird das Thema bis heute zu wenig stark beachtet. Der Fokus beim Thema Gewässerdurchgängigkeit liegt bisher mehr auf Aufwärtswanderungen und den entsprechenden Massnahmen wie Fischtreppen, Umgehungsgewässern oder Fischliften. Diese Sichtweise ist eindeutig zu eng und muss erweitert werden.

Die Forderung

Der Aal mit seinem aussergewöhnlichen Lebenszyklus ist diese Art eine besondere Herausforderung für die ökologische Sanierung unserer Fliessgewässer, wie sie das neue Gewässerschutzgesetz vorschreibt. In Bezug auf den Abstieg stellt er besonders hohe Ansprüche. Man kann es auch positiv betrachten: Der Aal ist ein wirksamer Indikator für die fischverträgliche Gestaltung der Durchwanderbarkeit von Kraftwerken in beide Richtungen.

Der SFV fordert im Einklang mit dem geltenden Gewässerschutzgesetz, dass alle wirtschaftlich vertretbaren Anstrengungen unternommen werden, um die Laichwanderung des Aals und die natürlichen Abwärtswanderungen unserer heimischen Fische mit ökologisch vertretbaren Verlusten zu gewährleisten.

In unserem Dossier finden Sie umfangreiche fachliche Grundlagen, wegweisende Forschung und interessante Praxisbeispiele rund um die Themen Fischabstieg und die wichtigste Indikator-Art für diesen Problemkreis: Den europäischen Aal.

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